Nachdem es nachts ausgiebig geregnet hatte, waren wir froh eine Cabin im Holiday Park gemietet zu haben. Ein entspannter Tag folgte mit viel Gammelei und Buchlesen in und vor der Hütte in der Sonne auf der Wiese. Und dieser herrlich freie Blick über die Dünen bis zum Meer, sie war einfach herrlich gelegen. Wir unternahmen nur zwei Ausflüge in die Siedlung Ahipara, einmal zum Einkaufen und zum anderen zum Essen gehen im Takeaway. Das Ende des Trails ist nun so nah, erst jetzt wurde es uns so richtig bewusst – es ist schon ein komisches Gefühl. Morgen dann beginnt der letzten Etappe.
04.05.
Der Countdown läuft, 99, 90, 85, 80… 70 km sind es noch. Wir sind heute in die letzte Etappe, den 90-mile-beach gestartet, der aber eigentlich exakt 100,6 km lang ist. Gestern haben wir im Internet DEN ultimativen Te Araroa-Song gefunden und ihn nonstop gehört, er ist jetzt für uns zu einer Hymne geworden und war heute ein fröhlicher Ohrwurm.
Der Strand ist hier während der Ebbe ewig breit und da man kein Ende sieht, erlebten wir das Gefühl von grenzenloser Unendlichkeit. Nichts, was den Blick beschränkt, Wahnsinn! So ganz anders als auf unseren letzten Dschungelabschnitt im Northern Forest. Das macht den Kopf noch mal so richtig frei vorm Ende und fährt die letzte Anspannung komplett herunter. Wir haben es fast geschafft, hurra!
Kurz vor dem heutigen Tagesziel (30 km) – Hukarere Campsite – rangen wir dann doch noch mit der Flut um das letzte bisschen Strand und hatten endlich mal einen Sonnenuntergang über dem Meer!
05.05.
Das Meer, das Meer und der unendlich lange Strand…
Wir starteten heute 1,5h nach dem Höchststand der Flut, um das beste Zeitfenster für unsere Strandwanderung zu haben. Das Meer hier an der Westküste ist jeden Tag unruhig und lärmt, die Wellenberge schieben sich gegenseitig als wollten sie sich überholen und brechen schon weit draußen. Ein Auf und Ab der Wassermassen wie in einem brodelndem Kochtopf. Es scheint oft als wären die Schaumkronen beim Brechen der Wellen zu langsam, sie hängen immer noch Bruchteile von Sekunden in der Luft, während die Welle längst nach vorn gekippt ist. Und wenn die Flut sich beginnend den Strand zurück holt, gibt es immer das Schauspiel der Ausbremsung der vom Meer hereinrollenden Wellen durch das vom Strand zurückflutende Wasser. Das drückt mit so einer Kraft dagegen, dass an dieser Stelle eine regelrechte Sandwelle mit lautem Knirschelgeräusch nach oben gedrückt wird und wie eine Mauer kurz stehen bleibt. An anderen Stellen ist der Strand breitflächig von einem dünnem Wasserfilm überzogen, so dass sich der Himmel wie in einem riesigen See darin spiegelt.
Wir hatten heute wieder 30 km bis zum nächsten Campsite vor uns, da man dazwischen nicht zelten darf um die Dünen und Brutvögel zu schützen. Man glaubt gar nicht, wie sich die Kilometer hinziehen, wenn sich ringsumher landschaftlich nicht viel ändert. Das ging nur, indem ich den sonst mundfaulen Dirk zum Anekdotenerzählen drängte. Das war für ihn zwar nicht einfach, aber so verging die Zeit scheinbar schneller, das musste er sogar zugeben.
06.05.
Wir hätten heute beinahe die 3000 km – Marke verpasst. Da wir seit 2 Tagen die Kilometer nur noch im Countdown sehen, haben wir diesen so wichtigen Meilenstein fast aus den Augen verloren. Wahnsinn, wir können es selber kaum glauben, dass wir hier angekommen sind. Und nun liegt nur noch eine allerletzte Tagesetappe vor uns. Nur noch 12 km sind es jetzt.
Heute sind wir noch einmal 28 km gelaufen, der Strand schien immer breiter zu werden. Aber dafür nicht mehr unendlich lang. Schon heute früh sahen wir weit in der Ferne den prominenten Felsenberg, über den wir ganz am Schluss noch zum Zeltplatz gestiegen sind. Von dort oben konnten wir den 90-mile-beach fast in der gesamten Länge überschauen, wahnsinnig beeindruckend!
Nachdem wir unser Zelt am Twilight-Camp aufgeschlagen hatten, bekamen wir endlich am allerletzten Trailabend noch einen (fast) richtigen Sonnenuntergang über dem Meer – wenn da nicht dieses schmale Wolkenband gewesen wäre. So ein Wetterglück aber auch! Insgesamt hatten wir ja über die gesamte Zeit hier nur sehr wenig Regentage und nur einmal Schnee. Einerseits freuen wir uns, dass wir dieses Mammutding von TA endlich geschafft haben, andererseits ist ein Abschied ja immer traurig. Mal sehen wie wir uns morgen am Cap Reinga fühlen.
07.05.2024, 13:20Uhr: DER MAGISCHE MOMENT. Cape Reinga, wir sind angekommen!
Und wir sind happy! Die Wanderung hierher war voller wunderbarer und traumhafter Momente, Ausblicke und Farbstimmungen. Ich hätte am liebsten jeden weiter ausgedehnt und habe deshalb die Eindrücke und Bilder des Tages so intensiv wie möglich inhaliert (im Unterschied zu Dirk, der möglichst schnell am Ziel ankommen wollte, aus Sorge, es könnte Regen geben 😉).
Jeder Schritt nach vorn war wie ein kleiner Abschied vom Trail. Und trotzdem ein Tag voller Glücksgefühle. Sogar das Wetter hat zum Abschluss sein bestes gegeben – bis auf ’nen kleinen Schauer. Und einen Regenbogen gab es heute natürlich auch noch einmal (obwohl wir den fast täglich auf der Nordinsel hatten). Der Countdown wurde heute ab KM 10 in Kilometerschritten gezählt und verewigt.
Wir haben den Trail tatsächlich überlebt und mit uns das Zelt, die Schlafsäcke, die Rucksäcke, das zweite Paar Schuhe, beide Handys, die meisten Socken, ein Wanderstock (3 mussten nachgerüstet bzw. neu gekauft werden), meine Isomatte (Dirks liegt irgendwo auf dem Highway 2) und unsere Klamotten (bis auf Dirks gelöchertes T-Shirt, das jetzt am Cap Reinga am Schild flattert).
Unglaublich, dass der Trail jetzt für uns Geschichte ist. So viele Wochen und Tage zuvor war das Ziel für uns schier unerreichbar und unvorstellbar wie eine neunstellige Zahl. Utopisch weit weg schien Cap Reinga bis zuletzt. Wir haben den Trail oft verflucht und mussten das letzte bisschen gute Stimmung zusammenkratzen. Obwohl wir das alles noch ganz genau wissen, verklärt die Erinnerung bereits und beschönigt alles. Vor allem, weil es so viele grandiose und atemberaubende Momente gab, die valles positiv überstimmen. Es hat uns ungemein befreit und glücklich gemacht, den ganzen Tag draußen zu sein; sprich: einfach nur ZU SEIN, von einem Moment zum nächsten zu leben.
Was nehmen wir mit? Natürlich eine tiefe Dankbarkeit, das alles erlebt haben zu dürfen, dann das wunderbar befreiende Gefühl, sich auf das Wesentliche zu beschränken, was uns im wahrsten Sinne des Wortes viel beweglicher und das Leben einfacher gemacht hat und dann eine völlig neue Erfahrung, wie freundlich, hilfsbereit, entspannt und aufgeschlossen Menschen miteinander umgehen können, so dass wir uns immer sofort wie vertraut fühlt haben. Die Kiwis (Neuseeländer) haben uns ungemein entkrampft und aufgelockert und mehr Geduld miteinander gelehrt. Hoffentlich bleibt das so! Hoffentlich nehmen wir von alledem anhaltend was mit und können es weiter geben.
Und was nehmen wir noch mit? Die Erkenntnis, wie ungemein schön manchmal eine warme Dusche sein kann.